TV-Kolumne „Helmut Schmidt“ – „Was ist der Junge geworden – so was wie Bismarck?“

Gepostet am Dez 24, 2013

Weniges ist so gefährlich wie Fernsehen. Es schafft Wirklichkeiten: Wirklichkeiten, die sich wahrer anfühlen als die Wahrheit, weil sie so überzeugend sind und so schön gefühlig. Und doch bleibt diese Fernseh-Wirklichkeit das Werk von Autoren, von Regisseuren, von Schauspielern, Kameramännern, Beleuchtern, Maskenbildnern. Von jetzt an ist auch Helmut Schmidt ein Kunst-Werk.

Schmidt als Spiel

Es ist ein Märchen, ein Weihnachtsmärchen, welches das Erste ausstrahlt, garniert mit Spielszenen, die dem Zuschauer Wirklichkeit vorspielen. Und auch wenn wir es einen Abend vor Heiligabend vielleicht mit besonderer Bereitwilligkeit glauben wollen: Dieser Schmidt ist Spiel, nicht Ernst.

Als Helmut Hitlerjunge werden wollte

Wir sehen den jungen Helmut, als er in Hamburg das Radfahren lernt auf einem viel zu großen Herrenrad. Er stürzt. Liegt am Boden. Und sein Vater? Kommt gar nicht auf die Idee, den Jungen zu trösten. ?Was sagen wir da??, will der Vater wissen: ?Da lach? ich über!? Wir sehen auch die Ohrfeige, die sich der nicht mehr ganz so junge Helmut einfängt, als er seinem Vater die Unterschrift zum Hitlerjugend-Aufnahmeantrag unterschieben will. Da weiß Helmut Schmidt noch nicht, dass sein Vater als leiblichen Vater einen Juden hat. Und später, als Schmidt Kanzler ist, will der Vater nur wissen: ?Was ist der Junge geworden ? so was wie Bismarck??

Harter Vater, harter Junge

Es ist ein harter Vater, den die ARD vorstellt. Und der echte Helmut Schmidt bestätigt im Interview den Eindruck. ?Im Charakter?, sagt er, ?bin ich dem Vater sicher ähnlicher als der Mutter.? Und er wählt eindeutige Adjektive, um diesen Charakter zu beschreiben: abweisend, kühl, arbeitsam, ausgestattet mit dem Hang, voranzukommen.

Das schöne, allzu schöne Bild

Es ist ein deutsches Denkmal, an dem sich ?Helmut Schmidt ? Lebensfragen? versucht. Nach einer aktuellen Umfrage halten ihn die Deutschen für den ?bedeutendsten Kanzler der Bundesrepublik? ? vor Adenauer, auch vor Brandt und Kohl.  Und die Spielszenen über den Kanzler Schmidt malen das Bild noch schöner. Die junge Liebe zu seiner späteren Frau Loki. Die Kriegsszene von der Ostfront, als er versucht, einen Kameraden zu retten. Das Rücktrittsschreiben, das er schon vorformuliert für den Fall, dass die Geiselbefreiung von Mogadischu zu viele Tote fordert. Alles Dinge, die wirken wie Geschichte und doch nicht mehr sind als das Werk eines Filmteams.

Banales wird bedeutend

Der andere Schmidt? Der zeigt sich im Interview mit Giovanni di Lorenzo. Und es wäre eine Möglichkeit gewesen, eine ernstzunehmende, dem Kraft des Wortes, seines Wortes zu vertrauen. In den Gesprächsszenen zeigt der Altbundeskanzler sein Talent, Banalstes mit Bedeutung aufzuladen. ?Wenn es sich um einen nahestehenden Menschen handelt?, sagt er etwa, ?dann macht der Tod eines solchen Menschen einem selbst die Endlichkeit seines eigenen Lebens bewusst.? Oder: ?Glück ist ein Gefühl, das kaum von Dauer ist.?

Und dann dankt Schmidt für die Sturmflut

Schmidt sagt auch Ungeheuerliches. Er sagt es, als er seinen Aufstieg als Politiker beschreibt. Da fällt dieser Satz: ?Tatsächlich kam dann der liebe Gott zu Hilfe, er ließ zwar kein Flugzeug auf den Rathausmarkt fallen, ließ aber eine Sturmflut Hamburg überschwemmen.? Die Opfer, nicht nur die 340 Toten, werden das nicht als Gottesgeschenk empfunden haben.

Ein Kampfsportler und die Liebe

Da zeigt sich, was der politische Kampfsportler mit der Kraft des hohen Alters bereitwillig einräumt. ?Mir ist der eigene Geltungsdrang durchaus bewusst. Man kann im Alter von 95 Jahren seinen Charakter nicht mehr ändern.?  Es zeigen sich Risse und Möwenschisse am Denkmal. Es bleiben aber auch großartige, rührende Eindrücke. Etwa in den Schlussmomenten dieser 90 Minuten. Da fällt die wunderbar schlichte Frage, ob Helmut Schmidt noch mit seiner Loki spreche. Die einst berüchtigte Schmidt-Schnauze ringt nach Worten. Die feuchten Augen lassen kurz ahnen, wie schwer dem Altbundeskanzler die Gefasstheit fällt. Und dann erzählt er, wie er manchmal im Halbschlaf nach der 2010 Verstorbenen rufe. Aber es gebe kein Gespräch: ?Sie antwortet nicht.? Diese Trauer, diese Erinnerung nach 68 Jahren Ehe, die zeigt: Es gibt wahre Momente, die keine Spielszene benötigen. Da genügt die Kraft des Wortes.

noch mehr Computer Nachrichten noch mehr Gadgets im Internet

Verwandte Beiträge