Sicherheitsexperte Mauro Mantovani zum Terror in Brüssel: Kann man diesen Wahnsinn stoppen?

Gepostet am Mrz 22, 2016

Herr Mantovani, Brüssel war in ständiger Alarmbereitschaft und hat einen Anschlag erwartet. Warum konnte der Terror trotzdem nicht verhindert werden?

Mauro Mantovani: Offenbar haben die belgischen Sicherheitsbehörden kein vollständiges Lagebild über den islamistischen Terrorismus in ihrer Hauptstadt. Schuld daran sind Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Behörden ? es herrscht ein Kompetenz-Wirrwarr.

Liegt es nur daran?

Nein, der andere wichtige Grund: Die Terroristen haben mit der U-Bahn und dem Flughafen relativ einfache Ziel gewählt, um eine Bombe detonieren zu lassen. Man kommt leicht hin und kann einen grossen Schaden mit vielen Opfern anrichten. Das kann überall passieren ? wobei der Anschlag am Flughafen wohl hätte verhindert werden können, ja müssen.

Wie das?

Gerade nach der Verhaftung von Salah Abdeslam wurde eine Reaktion seitens des terroristischen Netzwerks erwartet. Da hätten die Sicherheitsvorkehrungen am Flughafen deutlich erhöht werden müssen ? etwa mit Zugangskontrollen schon ausserhalb des Flughafens. Offenbar konnten die Attentäter problemlos zu den Check-in-Schaltern spazieren und dort ihre Bomben zünden.

Haben die Geheimdienste ? auch jene der USA oder Frankreichs ? versagt?

Wir wissen nicht, ob der belgische Nachrichtendienst Warnungen seitens seiner Partnerdienste erhalten hat. In erster Linie tragen aber die Belgier die Verantwortung dafür, was in einem Vorort wie Molenbeek abgeht. Sie müssten die islamistische Szene im Griff haben.

Das haben sie nicht?

Offenbar nicht.

Wie lässt sich diese in den Griff bekommen?

Durch verstärkte Überwachung, einschliesslich Informanten in der Szene, und eine klare Kompetenzverteilung der Sicherheitsbehörden.

Warum schlugen die Terroristen gerade jetzt zu? Als Reaktion auf die Festnahme Abdeslams?

Ich halte die These für plausibel, dass die Anschläge eine Reaktion auf die Verhaftung sind. Allerdings nicht als Rache für die Verhaftung, sondern damit bestehende Anschlagspläne nicht vereitelt werden konnten. Abdeslam hatte Bereitschaft gezeigt, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Seine Verbündeten mussten also damit rechnen, dass er auspackt und Anschlagspläne verrät. Sie schlugen vielleicht deshalb so rasch zu, damit sie diese Pläne noch umsetzen konnten. Das ist aber Spekulation.

Warum erfolgte der Anschlag in Brüssel?

Brüssel hat als Hauptstadt der EU einen hohem Symbolwert. Zudem ist in Molenbeek eine grosse islamistische Unterwelt vorhanden.

Und was ist der Zweck?

Es geht wohl darum, Angst und Schrecken zu verbreiten. Möglicherweise wollten die Täter der Welt auch beweisen, dass sie immer noch operationell sind. Das ist übrigens auch das Interesse des Islamischen Staates, der sich ja inzwischen zu diesen Anschlägen bekannt hat. Auch er ist in der Defensive.

Muss Europa mit weiteren Anschlägen rechnen?

Das war garantiert nicht der letzte islamistische Anschlag in Europa. Wir werden auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte hinaus mit islamistischem Terror leben müssen.

Müssen wir uns auch in der Schweiz fürchten?

Die Angst ist eine schlechte Ratgeberin. Wir sind wegen unserer zurückhaltenden Aussenpolitik und Neutralität aber kein erstrangiges Ziel für Dschihadisten. Ein Anschlag wie in Belgien könnte theoretisch aber jederzeit auch bei uns passieren. Deshalb sollten wohl auch wir uns besser wappnen.

Und wie?

Es braucht vermutlich zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen. Das neue Nachrichtendienstgesetz würde wohl helfen, da es dem Nachrichtendienst mehr Kompetenzen in die Hände gibt. Auch könnten die Zugangskontrollen bei kritischer Infrastruktur noch ausgebaut werden. Allerdings sind alle diese Massnahmen immer ein Abwägen zwischen Freiheit und Sicherheit.

Wie lässt sich der Terror-Wahnsinn stoppen?

Wie gesagt, wir werden noch lange mit dieser Bedrohung leben müssen. Wir können den Terror nicht stoppen, aber eindämmen. Dafür wäre unser Sicherheitsdispositiv anzupassen.

Wie kann die Bevölkerung mithelfen?

Indem man wachsam ist und Auffälligkeiten ? wenn sich zum Beispiel jemand im öffentlichen Raum auffällig verhält oder wenn man ein auffälliges Objekt entdeckt ? den Behörden meldet. Und das lieber einmal zu viel als zu wenig.

Zur Person: Mauro Mantovani (52) ist Dozent für Strategische Studien an der Militärakademie an der ETH Zürich. Früher arbeitete er unter anderem beim Strategischen Nachrichtendienst.

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Publiziert am 23.03.2016 | Aktualisiert um 23:45 Uhr

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