Kommentar: Die digitale Agenda darf kein zentralistisches Monster werden

Gepostet am Aug 23, 2014

Nach der Präsentation der Digitalen Agenda steht zu befürchten, dass lokale Herausforderungen zentralistisch gelöst werden sollen. Der Philosoph Jörg Friedrich fordert ein Umdenken.

Die Bundesregierung will das schnelle Internet auch in die dünn besiedelten Regionen des Landes bringen, das zumindest steht im Koalitionsvertrag. Und die Absicht, das zu organisieren, wurde nun erneut verkündet. Die Äußerungen der Regierungsvertreter, aber auch die Reaktionen der meisten Kommentatoren, egal, ob sie kritisch oder zustimmend sind, zeigen vor allem, woran dieses Land zunehmend krankt: Es wird versucht, lokale und regionale Herausforderungen zentralistisch zu lösen.

Ein Kommentar von Jörg Friedrich

Ein Kommentar von Jörg Friedrich

Jörg Friedrich ist Philosoph und Geschäftsführer eines Münsteraner Softwarehauses. Im vergangenen Jahr erschien bei Telepolis sein Buch „Kritik der vernetzten Vernunft – Philosophie für Netzbewohner“.

Ministerialbürokratien, Lobbyverbände und Konzernverwaltungen schreiben in Arbeitsgruppen an Globalkonzepten, die dann in den Landkreisen und Gemeinden umgesetzt werden sollen. Was wird dabei herauskommen? Ein bürokratisches Monster, ein Regelwerk für Fördersummen und Richtlinien, die am Ende vor allem eines sicherstellen: Fördermilliarden, großspurig von der Regierung bereitgestellt und angepriesen, aber letztlich von den Steuerzahlern aufgebracht, versickern in den Verwaltungsapparaten unflexibler Großkonzerne, die die Betroffenen mit Standardprodukten beglücken, die zu teuer sind und im Einzelfall gerade nicht das beste Ergebnis bringen.

Wo die Bundesregierung in ihrer „Digitalen Agenda“ noch nebulös formuliert, „der Aufbau der Hochgeschwindigkeitsnetze braucht staatliche Impulse: Durch Rahmenbedingungen schaffen wir optimale Anreize für den Ausbau durch den Markt. Mit staatlichen Mitteln unterstützen wir dort, wo sich ein wirtschaftlicher Ausbau nicht lohnt“, wird der Telekom-Chef schnell konkret: „Der Markt“, das heißt für ihn: die Telekom und andere Großunternehmen, die sich an den Stellen, an denen ihnen der Breitbandanschluss zu teuer wird, die staatlichen Fördergelder abholen. Dass das mit Markt und Wettbewerb nichts zu tun hat, liegt auf der Hand. Überdies wird das Ganze so lange dauern, dass die technische Entwicklung und die Anforderungen schon längst drei Schritte weiter sind, wenn die ersten Anschlüsse des „schnellen Internets“ bei ihren Nutzern eingerichtet sind.

Die Digitale Agenda der Bundesregierung

Netzwerk-Kabel

Die Digitale Agenda der Bundesregierung, vorgestellt von den drei „Internetministern“ Innenminister Thomas de Maizière, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Infrastrukturminister Alexander Dobrindt, soll Leitlinien für den weiteren Weg Deutschlands in die digitale Welt aufstellen. Zu den Vorhaben und Absichtserklärungen der Digitalen Agenda im Einzelnen:

Subsidiarität

Eigentlich hat dieses Land ein altes Erfolgskonzept, das über Jahrzehnte für wirtschaftliche Dynamik und effiziente Erfolge, letztlich für Wohlstandsgewinne für alle gesorgt hat: Regionale Probleme werden vor Ort gelöst, da, wo die Betroffenen leben, werden auch die Lösungen für neue Herausforderungen gesucht und organisiert. Man nennt es auch das Subsidaritätsprinzip, ein sperriges Wort, das aber leider nicht nur wegen seiner Sperrigkeit an Bekanntheit und Ansehen verloren hat.

Es ist doch ganz klar: keine zentrale Plankommission wird ein Konzept erarbeiten können, bei dem alle regionalen Besonderheiten und Möglichkeiten richtig berücksichtigt werden, sodass Fördermaßnahmen optimal in technische Lösungen einfließen. Ob eine Gemeinde besser durch schnellen Mobilfunk oder durch Glasfaserkabel ans Internet angebunden werden, lässt sich viel besser beurteilen, wenn die Lage und die Leute vor Ort bekannt ist.

Das Internet ist nicht zentralistisch

Dazu kommt: Überall in diesem Land gibt es flexible mittelständische Unternehmen, Service-Provider, Bauunternehmen, Handwerker, Dienstleister. Die können das, was vor Ort getan werden muss, auch vor Ort anbieten, meist zu einem viel günstigeren Preis, als es die einschlägigen Konzerne können, meist auch in viel kürzerer Zeit. Das Internet ist kein zentralistisches System, sein Ausbau muss nicht zentral geplant, gesteuert und überwacht werden. Auch das Straßennetz und selbst das Eisenbahnnetz können lokal entsprechend der regionalen Anforderungen und Besonderheiten geplant und ausgebaut werden, ohne dass es einer zentralen Agenda bedarf, es gibt allgemeine Standards und Richtlinien, die für Anschlussfähigkeit sorgen, der Rest kann vor Ort entschieden und mit der Leistungsfähigkeit der Unternehmen vor Ort umgesetzt werden.

Das Internet, das von Beginn an durch Standards und nicht durch zentrale Planungen zusammengehalten wurde und seinen Erfolg gerade der Dezentralisierung verdankt, ist da keine Ausnahme. So wie in den Kommunen Bürgerradwege und Bürgerbusse lokale Anforderungen entstehen, wo das Land zu unflexibel, zu langsam und zu teuer ist, so kann auch der Ausbau der Internet-Infrastruktur lokal organisiert werden. Dann passiert überall das, was die Leute vor Ort auch wirklich brauchen ? denn für das, was den Menschen am meisten fehlt, engagieren sie sich auch gern. Die Fördergelder des Bundes können dort gut zielgerichtet und ohne Verwaltungsaufwand eingesetzt werden.

Auch die Lokalpolitiker müssen umdenken

Aber dazu muss nicht nur die Bundesregierung umdenken, auch die Lokalpolitik und die lokalen Wirtschaftsverbände müssen sich anders orientieren. Sie verschwenden heute ihre Energie darauf, lautstark von der Regierung im fernen Berlin Konzepte und Maßnahmen zu fordern, statt die eigenen Kräfte zu bündeln und vor Ort mit Unternehmen und Bürgern zu diskutieren, welche Lösung von den lokalen Unternehmen umgesetzt werden könnte, und wo Geld vom Bund oder Kooperation mit überregionalen Anbietern benötigt wird.

Einen technischen Spitzenplatz und allgemeinen Wohlstand hat dieses Land nie durch zentrale Planung und Verflechtung von Ministerien, Lobbyverbänden und Konzernen erreicht. Das führt am Ende in die Planwirtschaft, deren Scheitern allmählich in Vergessenheit zu geraten droht. Vor Ort die Ärmel hochkrempeln, die Leute zusammenbringen, die die konkrete Situation kennen und beraten, wie die eigene Situation am schnellsten verbessert werden kann, das ist das Erfolgsrezept, das auch das „digitale Neuland“ erschließt. (Jörg Friedrich) / (anw)

Die hier … mehr

Verwandte Beiträge