Mit Videokameras, IMSI-Catchern und Kennzeichenscannern kann laut einer US-Aktivistin der Straßenraum bereits ähnlich massenhaft und anlasslos überwacht werden wie das „Online-Panoptikum“. Sie rief die IT-Experten zu Gegenmaßnahmen auf.
Die Menge hochwertiger personenbezogener Daten, die mit aktuellen Überwachungstechniken im öffentlichen Raum gesammelt und analysiert werden könne, geht bereits stark in die Richtung der schier allgegenwärtigen Informationsspuren der Nutzer in der Online-Welt. Vor dieser Entwicklung warnte Nadia Kayyali von der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF) am Dienstag auf dem 32. Chaos Communication Congress. Der digitale Bereich sei bereits ein rundum überschattetes Panoptikum, die Straßen insbesondere der westlichen Welt stünden den Big-Brother-Szenarien aber kaum mehr nach.
Persönlichkeitsprofile möglich
Auch die Daten, die Private und Sicherheitsbehörden etwa mit Überwachungskameras und angeschlossenen biometrischen Verfahren von der Gesichts- bis zur Tattoo-Erkennung, IMSI-Catchern zur Beschattung von Mobilfunknutzern oder Kfz-Kennzeichenscannern erheben und teils jahrelang aufbewahren, sind demnach mit Metainformationen verknüpft ? wie bei der klassischen Vorratsdatenspeicherung. So ließen sich damit ohne konkreten Verdacht sehr genaue Persönlichkeitsprofile erstellen, etwa über besuchte Kranken-, Gottes- oder Kaufhäuser.
Nadia Kayyali in Hamburg
Allein in Los Angeles scanne die Polizei pro Woche drei Millionen Nummernschilder von Autos, halte die entsprechenden Daten zwei bis fünf Jahre vor und tausche sie mit rund 30 anderen Strafverfolgungsbehörden aus, führte Kayyali aus. Das habe die EFF dank einer Informationsfreiheitsanfrage erfahren. Ein solcher Weg stelle generell ein wichtiges Mittel dar, das Ausmaß der Überwachungsmaßnahmen auszuloten. Für Oakland habe man so aufgedeckt, dass die Scanner vor allem in Gegenden installiert seien, in denen viele Farbige wohnten. Die „Gated Community“ Piedmont im Zentrum der kalifornischen Stadt habe die Lesegeräte dagegen nur an den Einlasspunkten angebracht.
Reger Datenaustausch
Ferner finde Offline wie Online ein reger Transfer privat erhobener Daten an staatliche Stellen statt, erklärte die Bürgerrechtlerin. Die Staatsanwaltschaft San Francisco etwa halte private Grundstückbesitzer an, Überwachungskameras registrieren zu lassen. So habe sie eine gute Übersicht, wo im Bedarfsfall Videoaufnahmen abgerufen werden könnten. Bei einer konkreten Nachfrage handle sich die Instanz auch ohne gesetzliche Übergabeverpflichtung kaum einen Korb ein. Vom FBI und lokalen Polizeibehörden sei bekannt, dass diese etwa mit Geschäftsbesitzern in „Problembezirken“ unter Verweis auf geringfügige Vergehen wie den Verkauf abgelaufener Lebensmittel gern vergleichbare Kooperationen anleierten.
Nun sei es zwar möglich, sich mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung und Apps wie SnoopSnitch gegen IMSI-Catcher zu wappnen, befand Kayyali. Generell könne man aber den öffentlichen Raum nicht kryptografisch abschotten. Auch Sonnenbrillen oder spezielles Make-up schlügen modernen Verfahren zur Gesichtserkennung kaum mehr ein Schnippchen; reflektierende Nummernschilder brächten gar nichts gegen die einschlägigen Scanner.
„Informationskrieg“ nötig
Wichtig ist es für die gebürtige Syrerin daher, dass Bürger bei Abgeordneten gegen geplante Überwachungsprojekte in Kommunen protestieren, um diese gegebenenfalls zu verhindern oder einzugrenzen. Zusätzlich appellierte sie an die Hackergemeinde, Schwachstellen in den Spionagetechniken und die Standorte der benutzten Geräte klar aufzuzeigen. „Wir müssen da einen öffentlichen Informationskrieg führen“, untermauerte die Zivilistin diesen Appell mit militärischem Vokabular. Aufgedeckte Sicherheitslücken sollten regelrecht „politisiert“ werden.
Als Beispiel für einer derartige „strategische Intervention“ nannte Kayyali einen Fall, in dem der Zusammenschluss gegen Schnüffelaktionen der Polizei in LA „Stop LAPD Spying“ einen Gegenbericht zu einer geschönten Tätigkeitsanalyse des zuständigen Generalinspekteurs erstellt und dafür Stimmen direkt aus der Gemeinde von Betroffenen eingeholt habe. So sei schnell klar geworden, wie die Ordnungshüter vor Ort und die Kontrollinstanz wirklich arbeiteten. (avr)
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