Wie SP-Levrat die Bilateralen retten will: «Verhandlungen mit der EU sind ein Himmelfahrtskommando»

Gepostet am Okt 24, 2014

BLICK: In der SRG-Trendumfrage zeichnet sich ein Nein zur Ecopop-Initiative ab. Beruhigt?
Christian Levrat:
Es wäre falsch, sich zurückzulehnen. Wir müssen die Leute weiter überzeugen, dass es Humbug ist, Ausländer zu Sündenböcken für die Umweltbelastung zu machen.

Die Zuwanderungsängste und die Sorge um intakte Lebensräume sind nach wie vor vorhanden. Wie wollen Sie ihnen begegnen?
Es geht um Lebensqualität. Korrekte Löhne, sichere Arbeitsplätze, gute Renten, bezahlbaren Wohnraum ? das will das Volk. Wir müssen die Reformen umsetzen, um diese Ziele zu erreichen.

Welche Reformen?
Wir müssen älteren Arbeitnehmern mehr Arbeitsplatzsicherheit bieten. Die Unzufriedenheit ist in dieser Gruppe massiv gewachsen.

Ihre Rezepte?
Bei älteren Arbeitnehmern steigen Pensionskassenbeiträge und Lohnnebenkosten stark, deshalb stellen die Unternehmen lieber Jüngere ein. Wir fordern seit langem die Glättung dieser Kosten. Die Rechte hat das verhindert. Teilzeitstellen für Ältere wären sinnvoll, damit sie gestaffelt aus dem Arbeitsmarkt aussteigen können. Auch bei der Weiterbildung brauchen wir eine Offensive, speziell für Leute mit tiefer Qualifikation.

Soll der Bund Unternehmen zu Weiterbildung zwingen?
Das geht vielleicht zu weit, aber man muss die richtigen Anreize setzen. Ich fände es sinnvoll, Arbeitnehmern Mitte vierzig eine Standortbestimmung anzubieten.

Fazit: Die SP kämpft mit Sozialpolitik gegen Überfremdungsängste.
Am 9. Februar hat ein Teil der Bevölkerung gegen den Verlust von Lebensqualität protestiert. Diese Kritik kann ich, gerade bei Agglomerationsbewohnern, nachvollziehen. Die Agglo ist im toten Winkel der Politik gelandet. SP und FDP haben sich auf die Städte konzentriert, CVP und SVP aufs Land.

Heute sollen Ihre Delegierten eine Agglo-Offensive beschliessen. Was sieht sie vor?
Wir müssen die rasante Entwicklung in den Gemeinden sorgfältiger und überregional planen. Wir wollen Begegnungsorte schaffen. Wir wollen einen besseren Service public, mehr ÖV, mehr Kitas. Ich komme selbst aus jener Agglo der Schweiz, die in den letzten zehn Jahren am schnellsten gewachsen ist: der Agglo von Bulle.

Sie leben in einem Einfamilienhaus?
Ja.

Wie viele Autos haben Sie?
Wir sind zu fünft in der Familie und haben zwei Autos, diverse Velos, ein GA und ein Halbtax.

Sie haben sich für diesen Ort entschieden. Warum sagen Sie, die Lebensqualität sei schlecht?
Es gibt schlimmere Orte zum Leben. Das Problem ist: In vielen Orten hat die Lebensqualität abgenommen. Ganz konkret: Ich musste selbst dafür kämpfen, dass mein Wohnort an den ÖV angeschlossen bleibt. Meine Frau richtet mit Kolleginnen einen Schul-Mittagstisch ein.

Bürger helfen sich selbst, aus Eigeninitiative, ohne Staatsintervention. Wo ist da das Problem?
Das stimmt. Aber es gibt viele, die sich nicht selbst helfen können. Weil ihnen die Zeit, das Netzwerk oder die Mittel fehlen.

Und was kostet die Lösung der Agglo-Probleme?
Am Geld darf es nicht scheitern, in den Agglomerationen wurde schon zu lange gespart. Es sind unterschiedliche Massnahmen, die auch unterschiedlich finanziert werden. Beim öffentlichen Verkehr sind Bund und Kantone gefordert.

Die Kantone haben aber kein Geld.
Sie haben kein Geld, weil sie die Steuern massiv gesenkt haben.

Also Steuererhöhungen?
Sicher keine weiteren Steuersenkungen. Es geht nicht an, Steuern für Reiche und Unternehmen zu senken und in der Schule zu sparen. Es braucht auch kein Zehn-Milliarden-Programm. Wir sind nicht in Frankreich, bei uns brennen keine Banlieues. Wir sollten die Kritik ernst nehmen und Antworten liefern, solange noch Zeit bleibt.

Bei der Masseneinwanderung distanziert sich die SP von Kontingenten und Inländervorrang. Sie wollen die Initiative nicht umsetzen?
Die Initiative ist in sich widersprüchlich. Es geht darum, dem Willen der Bevölkerung, die Einwanderung zu steuern, Rechnung zu tragen. Die SP will dafür sorgen, dass dies nicht auf Kosten der Arbeitnehmenden oder der Bilateralen geschieht. Auch die SVP-Ständeräte haben übrigens das Verhandlungsmandat ohne Kontingente und Inländervorrang verabschiedet. 

Bei der EU weiss man offensichtlich immer noch nicht, was die Schweiz genau will.
Da bin ich anderer Meinung. Die EU weiss, dass die Schweiz versuchen will, über Umsetzungsmodalitäten der Initiative zu reden. Und sie ist gesprächsbereit. Aber man sollte sich nicht zu grosse Hoffnung machen. Verhandlungen mit der EU über Kontingente sind ein Himmelfahrtskommando.

Wir fassen zusammen: Die Wirtschaft muss in die Weiterbildung investieren und mehr Ältere beschäftigen. Die Steuern werden für Agglo-Investitionen erhöht. Die Arbeit wird teurer, weil die flankierenden Massnahmen verschärft werden. Finden Sie nicht, dass Sie der Wirtschaft sehr viel zumuten?Von Steuererhöhungen reden Sie, nicht ich. Fakt ist: Die Wirtschaft nimmt ihre Verantwortung nicht wahr, obwohl sie von der Öffnung am meisten profitiert. Ihr einziges Signal: Sie will weiterfahren wie bisher. Die Spitze hat nicht begriffen, dass wir ein gröberes Problem haben. Sie soll sich bitte schön an einer Lösung beteiligen.

Die neuste Idee: eine Lohnpolizei, die die Lohngleichheit überwacht.
Wenn 30 Jahre lang die Verfassung missachtet worden ist, dann ist es höchste Zeit, die Polizei zu rufen.

Die Lohnpolizei greift klar in die Sozialpartnerschaft ein. Sie beweist indirekt, wie schwach Gewerkschaften heute sind.
Die Sozialpartnerschaft funktioniert nur, wenn beide Partner verantwortungsvoll sind. Die meisten Firmen foutieren sich um Lohngleichheit. Es ist Zeit, Konsequenzen zu ziehen.

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